Erstkontakt mit Flüchtlingen in der Heimat
Seit Wochen frage ich mich, warum ich mich den Flüchtlingen gegenüber passiv verhalte. Ich brauche nicht einmal auszuweichen; sie sind einfach nicht dort, wo ich bin – bis gestern. Ich laufe über die Felder, grauer Himmel, Wind, zu warm für den Herbst. Mir kommt eine Gruppe von Leuten entgegen, die alle etwas über der Schulter hängen haben oder mit den Händen tragen. Flüchtlinge. Wir bleiben voreinander stehen. Ein Alter mit faltigem, blassgelbem Gesicht, grauweißen Bartstoppeln darin, umarmt mich und weint. Er ist einen Kopf kleiner als ich. Die anderen stehen um uns herum, zwei Jungs sind seine Söhne. Syrer. Der Alte heißt Firas.
Meine Mutter verlässt das Haus nicht mehr. Ich bin erschüttert, aber beinah verstehe ich sie. Der Garten ist voller Ruß, Schlamm, Müll. „Die sind schuld“, meint meine Mutter. Sie traut sich nicht mehr raus aus ihrem Haus. Auch die Gärten der Nachbarn sehen so aus, auf den Straßen lauter Fremde. Firas fragt, ob meine Mutter allein in dem Haus wohnt. Es ist ein großes Haus. „Die Wohnung oben ist vermietet“, sage ich. Auf einmal ist Firas mir unangenehm. Er interessiert sich nicht für meine Mutter; er interessiert sich für das Haus. Es ist groß genug für meine Mutter und seine Familie. Er sagt es nicht, sein Blick verrät es mir. Ich entschließe mich, zu bleiben. Es ist weiterhin zu warm für diese Jahreszeit; die Sonne kommt hervor, meine Mutter bleibt im Haus. Ich sammele den Müll im Garten auf. Allmählich erholt sich der Rasen. Ein Fuchs weicht nicht von meiner Seite. Er ist verletzt. Ich säubere die Wunde an seinem rechten Hinterlauf, füttere ihn mit Regenwürmern und Obst. Er schmiegt sich an mich; ich streichele ihn. „Der kommt mir nicht ins Haus“, sagt meine Mutter. „Das ist ein Fuchs, ein Wildtier.“ Sie sagt, ich muss ihn gehen lassen. Vielleicht hat sie recht. Die Wunde ist verheilt, er ist wieder bereit, zu jagen. Er sieht mich an; ich schicke ihn mit Gesten fort. Er trollt sich davon. Er kommt nicht weit. Sie stürzen sich zu dritt auf ihn; große, weiße Vögel, mit schwarzen Köpfen, langen, gebogenenSchnäbeln, mit denen sie auf ihn einhacken, das Fell, die Haut aufreißen, sein Fleisch verschlingen. Ein Knäuel aus Federn, Flügeln, Blut. Ich kann nichts tun.